Da das Recht auf Zurverfügungstellung einer kostenlosen Erstkopie der Krankengeschichte durch § 17a Abs 2 lit g AT-WrKAG in einer unverhältnismäßigen und daher unzulässigen Weise eingeschränkt wird, hat die dort angeordnete Kostenersatzpflicht als unionsrechtswidrig unangewendet zu bleiben.
Austria. Oberster Gerichtshof. Auf der einen Seite das Recht auf Auskunft. Auf der anderen Seite die wirtschaftlichen Interessen im Gesundheitswesen. Die zentrale Frage war, ob einem Patienten das Recht auf eine kostenlose erste Kopie seiner Krankengeschichte zusteht, selbst wenn dies zu einer finanziellen Belastung für Krankenanstalten führt bzw führenen kann.
Der Kläger erlitt im Mai 2019 einen Arbeitsunfall und wurde daraufhin in einer Krankenanstalt des Wiener Gesundheitsverbunds stationär behandelt. Nach seiner Entlassung erhielt er lediglich einen Patientenbrief, der die wichtigsten Informationen zusammenfasste. Um weitergehende Schadenersatzansprüche aufgrund des Unfalls geltend machen zu können, verlangte der Kläger aus dem Auskunftsrecht die kostenlose Herausgabe seiner vollständigen Krankengeschichte. Die Stadt Wien als Trägerin der Krankenanstalt verlangte jedoch die Zahlung eines Kostenbeitrags und stütze dies auf eine natonale Norm, die einen solchen zuspricht. Da der Kläger diesen Kostenbeitrag nicht zahlte, wurde die Herausgabe der Krankengeschichte verweigert.
In seiner Klage berief sich der Kläger sich auf sein Auskunftsrecht und das darin verbriefte Recht auf eine kostenlose Erstkopie seiner personenbezogenen Daten. Die Beklagte setzt dem insbesondere entgegen, dass die Herstellung und Herausgabe von Krankengeschichten insgesamt mit erheblichen Kosten verbunden sei. Der Kostenbeitrag sei festgelegt worden, um die wirtschaftliche Belastung der Krankenanstalten zu verringern. Dementsprechend liege mit der nationalen Norm eine zulässige Beschränkung des Betroffenenrechts gemäß Art 23 EU-DSGVO vor.
Die Stadt Wien wendete für die Bereitstellung von Krankengeschichten insgesamt (also nicht nur aus dem Auskunftsrecht) im Jahr 2020 rund 1,3 Millionen Euro auf. Im Verhältnis zu den gesamten Verwaltungskosten von 494 Millionen Euro waren das 0,26 %.
Der Oberste Gerichtshof hat wiefolgt entschieden:
- Die Einschränkungen der Betroffenenrechte nach Art 23 Abs 1 EU-DSGVO sind restriktiv anzuwenden.
- Die Anwendung des Art 23 Abs 1 lit e EU-DSGVO verlangt nicht irgendein, sondern ein wichtiges wirtschaftliches oder finanzielles Interesse der öffentlichen Hand im Bereich der öffentlichen Gesundheit und sozialen Sicherheit.
- Verursachen Auskunftsverlangen iSd Art 15 Abs 1, 3 EU-DSGVO nur einen geringen Anteil an den Verwaltungskosten, entfällt auf das Interesse der Verantwortilchen an der weiteren Einhebung der Kostenbeiträge für die Zurverfügungstellung einer Erstkopie der Krankengeschichte ein nur geringes Gewicht (hier bzgl AT-WrKAG) iSd Art 23 Abs 1 lit e EU-DSGVO.
- Da das Recht auf Zurverfügungstellung einer kostenlosen Erstkopie der Krankengeschichte durch § 17a Abs 2 lit g AT-WrKAG in einer nach Art 23 EU-DSGVO unverhältnismäßigen und daher unzulässigen Weise eingeschränkt wird, hat die in dieser Bestimmung angeordnete Kostenersatzpflicht als der EU-DSGVO entgegenstehendes nationales Recht unangewendet zu bleiben.