Die Weitergabe von Informationen in Bezug auf Gesellschafter, die über eine Treuhandgesellschaft mittelbar an einer Publikumsfondsgesellschaft beteiligt sind, ist nicht für die Erfüllung eines Vertrags erforderlich, wenn dieser die Weitergabe dieser Daten an Mitanteilseigner ausdrücklich ausschließt.
EuGH. Urteil. In der Rechtssache C-17/22 und C-18/22 hatte der EuGH die Frage zu behandeln, ob die Offenlegung personenbezogener Daten von Gesellschaftern, die über eine Treuhandgesellschaft an einem Investmentfonds beteiligt sind, gegenüber anderen Gesellschaftern gerechtfertigt ist.
Hintergrund ist der Fall zweier Investmentgesellschaften, die jeweils über eine Treuhandgesellschaft mittelbar an Fonds beteiligt sind. Die Kläger in den Ausgangsverfahren forderten die Offenlegung der Namen und Adressen ihrer Mitgesellschafter, um sie kontaktieren zu können. Diese Information sei notwendig, um von den Mitanteilseignern Anteile zu erwerben oder sich für Gesellschafterbeschlüsse abzustimmen. Die beklagten Gesellschaften lehnten dies jedoch ab und verwiesen darauf, dass eine solche Offenlegung in den Treuhandverträgen ausgeschlossen sei und ihre wirtschaftlichen Interessen gefährde.
Dementsprechend stellten sich die Fragen, ob die Offenlegung für die Vertragserfüllung erforderlich ist oder sich die Kläger auf die Wahrung ihrer berechtigten Interessen schützen können. Ferner sollte der EuGH beantworten, ob sich aus einer nationalen Rechtsprechung auf eine Rechtspflicht iSd Art 6 Abs 1 lit e EU-DSGVO ergeben kann.
Die wichtigsten Aussagen des EuGH:
- Liegt keine Einwilligung vor oder wurde die Einwilligung nicht freiwillig für den bestimmten Fall, in informierter Weise und unmissverständlich iSv Art 4 Z 11 EU-DSGVO gegeben, ist eine solche Verarbeitung gleichwohl gerechtfertigt, wenn sie aus einem der in Art 6 Abs 1 lit b bis lit f EU-DSGVO genannten Gründe erforderlich ist.
- Das Interesse, personenbezogene Daten über andere mittelbare Gesellschafter dieser Gesellschaft zu erhalten, um mit ihnen Kontakt aufzunehmen, um mit ihnen über den Abkauf ihrer Gesellschaftsanteile zu verhandeln oder um sich mit ihnen zur gemeinsamen Willensbildung im Rahmen von Gesellschafterbeschlüssen abzustimmen, kann grundsätzlich ein berechtigtes Interesse an der Offenlegung iSv Art 6 Abs 1 lit f EU-DSGVO darstellen.
- Das nationale Gericht muss jedoch prüfen, ob alternativ zur Weitergabe von personenbezogenen Daten der Mitanteilseigner, gelindere Mittel, die ebenso geeignet sind und weniger stark in die Grundrechte und Grundfreiheiten der Mitanteilseigner eingreifen und das es dem Verantwortlichen erlaubt, das berechtigte Interesse des betroffenen Dritten ebenso wirksam wahrzunehmen, zur Verfügung stehen.
Ferner folgende Auslegungen des EuGH:
- Art 6 Abs 1 lit b EU-DSGVO ist dahin auszulegen, dass eine Verarbeitung personenbezogener Daten, die darin besteht, auf Anfrage eines Gesellschafters eines als Publikumspersonengesellschaft organisierten Investmentfonds Informationen über alle Gesellschafter, die durch Treuhandgesellschaften an diesem Investmentfonds mittelbar beteiligt sind, unabhängig vom Umfang ihrer Beteiligung am Kapital dieses Fonds weiterzugeben, damit mit ihnen Kontakt aufgenommen werden kann, um mit ihnen über den Abkauf ihrer Gesellschaftsanteile zu verhandeln oder um sich mit ihnen zur gemeinsamen Willensbildung im Rahmen von Gesellschafterbeschlüssen abzustimmen, nur dann iSd Bestimmung als für die Erfüllung des Vertrags, auf dessen Grundlage diese Gesellschafter solche Beteiligungen erworben haben, erforderlich angesehen werden kann, wenn diese Verarbeitung objektiv unerlässlich ist, um einen Zweck zu verwirklichen, der notwendiger Bestandteil der für dieselben Gesellschafter bestimmten Vertragsleistung ist, so dass der Hauptgegenstand des Vertrags ohne diese Verarbeitung nicht erfüllt werden könnte. Dies ist nicht der Fall, wenn dieser Vertrag die Weitergabe dieser personenbezogenen Daten an andere Anteilseigner ausdrücklich ausschließt.
- Art 6 Abs 1 lit f EU-DSGVO ist dahin auszulegen, dass eine solche Verarbeitung nur dann als zur Wahrung der berechtigten Interessen eines Dritten erforderlich im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden kann, wenn sie zur Verwirklichung eines solchen berechtigten Interesses absolut notwendig ist und unter Würdigung aller relevanten Umstände die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betreffenden Gesellschafter gegenüber diesem berechtigten Interesse nicht überwiegen.
- Art 6 Abs 1 lit c EU-DSGVO ist dahin auszulegen, dass die betreffende Verarbeitung personenbezogener Daten nach dieser Bestimmung gerechtfertigt ist, wenn sie zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung erforderlich ist, der der Verantwortliche gemäß dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats unterliegt, wie es durch die Rechtsprechung dieses Mitgliedstaats präzisiert wurde, sofern diese Rechtsprechung klar und präzise ist, ihre Anwendung für die Rechtsunterworfenen vorhersehbar ist und sie ein im öffentlichen Interesse liegendes Ziel verfolgt, zu dem sie in einem angemessenen Verhältnis steht.