Kein missbräuchliches Vorgehen iSd Art 57 Abs 4 EU-DSGVO, alleine aufgrund der Anzahl der von dieser Person eingereichten Beschwerden.
EU. Schlussanträge des Generalanwalts. In der Rechtssache C-416/23 geht es um ein Vorabentscheidungsersuchen des österreichischen Verwaltungsgerichtshofs, der den EuGH um Auslegung von Art 57 Abs 4 EU-DSGVO ersucht. Die zentrale Frage betrifft die Auslegung des Begriffs „exzessive Anfragen“ in Verbindung mit Beschwerden nach Art 77 EU-DSGVO an die österreichische Aufsichtsbehörde. Es geht darum, ob die Aufsichtsbehörde bei einer großen Anzahl von Beschwerden Exzess annehmen und die Behandlung deshalb ablehnen kann.
Der Ausgangsfall betrifft eine betroffene Person, die innerhalb von 20 Monaten insgesamt 77 Beschwerden an die österreichischen Aufsichtsbehörde richtete. Diese Beschwerden betrafen die Verarbeitung personenbezogener Daten durch verschiedene öffentliche und private Stellen. Hinzu kam noch ein hohe Anzahl an telefonischen An- und Nachfragen.
Die Aufsichtsbehörde weigerte sich vor diesem Hintergrund, die Beschwerden zu bearbeiten, und stützte ihre Rechtsansicht auf Art 57 Abs 4 EU-DSGVO. Nach dieser Bestimmung können Aufsichtsbehörden die Bearbeitung von Anfragen ablehnen, wenn diese „offensichtlich unbegründet oder exzessiv“ sind. Das wollte die betroffene Person nicht akzeptieren und wandte sich an das Bundesverwaltungsgericht. Das Bundesverwaltungsgericht folgte der betroffenen Person und entschied, dass die Aufsichtsbehörde alleine aus diesen Umständen die Behandlung nicht ablehnen dürfe. Die bloße Anzahl von Beschwerden reiche nicht aus, um sie als exzessiv zu betrachten. Die Aufsichtsbehörde müsse eine genaue Prüfung der Umstände vornehmen, bevor sie eine solche Entscheidung trifft.
Aus offensichtlichem Interesse erhob die Aufsichtsbehörde Amtsrevision an den Verwaltungsgerichtshof. Dieser wandte sich in der Folge an den EuGH. Insbesondere sollte der EuGH klären, ob der Begriff „Anfrage“ in Art 57 Abs 4 EU-DSGVO auch Beschwerden nach Art 77 EU-DSGVO umfasst. Ferner sollte der EuGH entscheiden, unter welchen Umständen eine Anfrage als „exzessiv“ gilt und inwiefern die Anzahl der eingereichten Beschwerden dabei eine Rolle spielt.
Nach Ansicht der Aufsichtsbehörde seien Beschwerden in großer Zahl bereits „exzessiv“, wenn sie das ordnungsgemäße Funktionieren der Behörde behindern oder offensichtlich missbräuchlich eingereicht werden. Die EU-DSGVO müsse es den Aufsichtsbehörden ermöglichen, ihre Ressourcen effizient einzusetzen und sich auf ernsthafte Datenschutzverletzungen zu konzentrieren, anstatt von einer Vielzahl von Beschwerden überlastet zu werden. Die betroffene Person argumentierte weiterhin, dass jede Beschwerde einzeln geprüft werden müsse und die bloße Anzahl der Beschwerden keinen Grund für die Ablehnung der Bearbeitung darstelle. Sie betonte, dass es ihr Recht sei, gegen Verstöße gegen die EU-DSGVO vorzugehen, und dass die Aufsichtsbehörden verpflichtet seien, jeder Beschwerde nachzugehen, unabhängig davon, wie viele Beschwerden eingereicht werden.
Der Generalanwalt des EuGH schließt sich dieser Rechtsansicht in seinem Gutachten an. Nach dessen Dafürhalten fallen Beschwerden nach Art 77 EU-DSGVO grundsätzlich unter den Begriff der „Anfragen“ in Art 57 Abs 4 EU-DSGVO. Die Anzahl der eingereichten Beschwerden allein reicht jedoch nicht aus, um von „Exzess“ ausgehen zu können. Die wichtigsten Aussagen im Einzelnen:
- Art 57 Abs 4 EU-DSGVO ist soweit dort der Begriff „Anfragen“ bzw „Anfrage“ verwendet wird, nicht nur auf Anfragen iSv Art 57 Abs 1 lit e EU-DSGVO anzuwenden.
- Art 57 Abs 4 EU-DSGVO gilt, soweit er eine Ausnahme vom Grundsatz der Unentgeltlichkeit vorsieht, ohne dabei diese Ausnahme auf bestimmte besondere Aufgaben der Behörden zu beschränken, auch für die Befassung mit Beschwerden.
- Die Verfolgung des Ziels, ein hohes Schutzniveau für personenbezogene Daten zu gewährleisten, erfordert es, das ordnungsgemäße Funktionieren der Aufsichtsbehörden zu gewährleisten, indem verhindert wird, dass dieses dadurch behindert wird, dass offenkundig unbegründete oder exzessive Beschwerden iSv Art 57 Abs 4 EU-DSGVO eingereicht werden. Diese Bestimmung gibt den Aufsichtsbehörden somit die Möglichkeit, mit diesen Beschwerden speziell umzugehen, indem sie die Belastung verringern, die diese Beschwerden bei ihnen auslösen können.
- Würde ein Schwellenwert festgelegt, ab dem eine Aufsichtsbehörde diese Beschwerden allein aufgrund ihrer Anzahl als „exzessiv“ einstufen könnte, würde dies die von der EU-DSGVO gewährleisteten Rechte der beroffenen Person beeinträchtigen.
- Die mehrfache Ausübung von Betroffenenrechten gegenüber demselben Verantwortlichen, kann nicht als solche als „exzessiv“ eingestuft werden.
- Möchte eine Aufsichtsbehörde von der in Art 57 Abs 4 EU-DSGVO vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch machen, muss diese anhand aller relevanten Umstände jedes Einzelfalls feststellen, dass ein missbräuchliches Vorgehen der betroffenen Person vorliegt.
- Es gilt das Primat, eine angemessene Gebühr auf der Grundlage der Verwaltungskosten iSv Art 57 Abs 4 EU-DSGVO, bevor sich die Aufsichtsbehörde weigern kann, aufgrund einer Beschwerde tätig zu werden.